Der Charaktername
Es gibt Schriftsteller, die haben eine Gabe, ihre Charaktere mit passenden Namen auszustatten. Namen, die einem auf der Zunge zergehen wie schmelzende Eiscreme und beim Schlucken einen süßlichen Nachgeschmack hinterlassen.
J. K. Rowling ist wohl eines der meistgelesenen Beispiele. Hermine Granger, Albus Dumbledore oder auch Draco Malfoy sind Namen, die uns allein durch ihren Klang mehr über die jeweilige Figur verraten, als jede ellenlange Charakterbeschreibung anderer Schriftsteller. Polly Plummer, Andrew Ketterley und Eustachius Knilch reihen sich ebenfalls in die perfekt benannten Charaktere ein, genau wie Samweis Gamdschie, Ramsay Bolton, Frodo Baggins, Edward Cullen, Bridget Jones, Huckleberry Finn, Pennywise the Clown oder Humbert Humbert aus Nabokovs Lolita.
Wobei Pennywise und Humbert Humbert zwei spezielle Beispiele darstellen, da sie unschuldiger nicht klingen könnten, und dem Bösen, das sie verkörpern, ein Gefühl von »Beurteile eine Person niemals nach seinem Äußeren« verleihen.
Mehr als nur ein Name
Ein Name kann also mehr sein als die bloße Bezeichnung der entsprechenden Figur. Er kann uns sowohl einen Einblick in das Innerste einer Person gewähren, als auch eine erste Vorstellung über ihr Aussehen oder ihre Herkunft vermitteln. Ein Beispiel dafür, wie stark bestimmte Charaktereigenschaften mit Namen geradezu verschmolzen sind, bieten Kevin oder Jacqueline. Egal wo und wann wir diese Namen hören, das Klischee schwingt mit und pflanzt uns ein negativ behaftetes Bild in den Kopf, auch wenn dies in den seltensten Fällen zutrifft.
Authentizität ist der Schlüssel
Für den Roman gilt: Authentizität ist der Schlüsselpunkt. Doch wie erreiche ich die?
Unsere erste Protagonistin ist Mitte Dreißig, hellhäutig, hat ein klassisches europäisches Aussehen und ist gebürtige Kölnerin. Ihr Name ist Violet.
»Wieso ausgerechnet Violet?«, wäre vermutlich die erste Frage, die sich viele Leser bei diesem Charakter stellen würden.
»Ja, weil ich finde, dass Violet ein toller Name ist«, könnte die Antwort des Autors lauten.
Das mag stimmen, aber Violet ist alles andere als der typische Name für die Durchschnittskölnerin. Allerdings könnte uns der Autor des Buches auf den folgenden Seiten erklären, dass sie die Tochter eines in Köln stationierten amerikanischen Soldaten, und einer aus Köln stammenden Erzieherin ist. Ohne diese Hintergrundinformation wäre der Name fehl am Platze und eine Claudia, Julia oder Susanne wäre authentischer.
Unser zweiter Protagonist ist Ende zwanzig, hat schulterlange verfilzte Haare, braun gebrannte Haut, trägt gerne Kurt Cobain Shirts, kniefreie Jeans und zerschlissenen Chucks. Sein Name ist Herbert.
Auch hier passt der Name vom ersten Gefühl her nicht zu dem beschriebenen Charakter. Schon alleine aus dem Grund, weil er Anfang der Neunziger geboren wurde und in dieser Zeit die wenigsten Eltern ihr Kind Herbert nannten. Es sei denn, seine Eltern wären Aristokraten oder er wäre nach seinem Opa benannt. Andernfalls würde hier ein Gerrit, Christian oder ein Lukas sicher mehr Sinn ergeben.
Unser letzter Protagonist ist Ende sechzig, hat große Hände, ledergegerbte Haut, ist von Beruf Landwirt und raucht täglich nach Feierabend sein Pfeifchen. Er heißt Heinrich. Bei diesem Charakter passt der Name perfekt. Heinrich ist ihm wie auf den Leib geschneidert und selbst kleine Details, wie sein Name in Verbindung mit seinem Alter und seinem Beruf würden in uns vermutlich das Bild eines großgewachsenen Mannes hervorrufen, der sein Leben lang hart gearbeitet hat.
Der Charakterbogen
Bevor wir uns also Gedanken über den Namen machen, sollten wir uns im Klaren darüber sein, um welche Art von Charakter es sich handelt. Dafür ist es hilfreich, sich einen ausführlichen Charakterbogen zu erstellen, eine Art Lebenslauf, der uns seine Hintergrundgeschichte vermittelt.
Wann wurde er geboren, wo ist er aufgewachsen, welche Schule hat er besucht, welche Ausbildung hat er genossen, wie sah das soziale Umfeld seiner Kindheit aus, welches Verhältnis hat er zu seinen Eltern, ist er ein Scheidungskind, wer sind seine Freunde, welchen Beruf hat er ergriffen und natürlich nicht zu vergessen, welches Geschlecht hat die Person. Die Liste für einen solchen Charakterbogen kann endlos fortgeführt werden.
Die Punkte, die ich für die Wahl des Namens als am wichtigsten erachte, sind:
Das Geschlecht:
Namen, die eindeutig auf das Geschlecht hinweisen, sind in der Regel besser, als geschlechtsneutrale Namen bei denen der Leser zweifelt, ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen handelt. Es sei denn, es handelt sich um Spitznamen oder es wird explizit darauf hingewiesen. (z.B. Chris, Alex, Toni)
Das Geburtsjahr:
Jedes Jahr, jedes Jahrzehnt, jedes Jahrhundert hat seine ganz eigenen Namen. Einige, wie beispielsweise Anna oder Max ziehen sich durch das gesamte letzte Jahrhundert und können ohne Bedenken gewählt werden. Eine 65 Jährige Rentnerin mit dem Namen Mandy-Sunshine würde beim Leser hingegen wohl Zweifel an der geistigen Gesundheit des Autors hervorrufen.
Geburtsort/-region:
Wie das Geburtsjahr können Namen auch von den regionalen Gegebenheiten abhängen. Stellt man Namenslisten aus Bayern, denen aus Friesland oder denen aus den neuen Bundesländern gegenüber, gibt es teils erhebliche Unterschiede (z.B. Alois, Annemarie, Sören, Merle, Michelle, Dustin).
Das soziale Umfeld:
Das soziale Umfeld spielt bei der Namenswahl eine ebenso wichtige Rolle. Streng religiöse Eltern, Aristokraten oder Sozialhilfeempfänger aus den Randschichten im Plattenbau bevorzugen in der Regel ganz eigene Namen.
Die Herkunft und der Bildungsstand der Eltern:
Die Eltern haben eurem Charakter den Namen gegeben, nicht ihr. Das solltet ihr bedenken. Die wenigsten Familien, in denen der Vater ein angesehener Staatsanwalt ist, die Mutter eine erfolgreiche Managerin, würden ihr Kind freiwillig Chantale oder Justin nennen, wenn sie für ihr Kind einen ähnlich erfolgreichen Lebensweg vorausplanen.
Der Kontinent/das Land/die Rasse:
Von wo stammt die Person, welche Sprache wird dort gesprochen, welcher ethnischen Kultur gehört sie an? Ist sie eine Person aus der realen Welt oder aus einem fiktiven Land oder ist sie sogar Mitglied einer nichtmenschlichen Rasse (z.B. Elfen, Kobolde oder Hobbits)?
Der Nachname
Nicht zu vergessen. Der Nachname. Auch wenn es viele Charaktere gibt, dessen Nachnamen man im gesamten Buch nicht erfährt, lege ich für meine Charaktere grundsätzlich einen mit an. Die Wahl kann nach denselben Punkten erfolgen wie die des Vornamens. Auch hier gibt es Unterschiede in Region, Herkunft, soziale Schicht usw. Stammt ein Charakter beispielsweise gebürtig aus Berlin, wird er vermutlich einen anderen Nachnamen tragen als einer aus Bayern oder Niedersachsen (z.B. Leppin, Mackwitz, Jansen, Friedrichsen, Simmelbauer, Mosbacher).
Lesbarkeit und Harmonie
Gerade die Hauptfiguren würde ich in einem Roman grundsätzlich mit harmonisch klingenden sowie gut lesbaren Vor- und Nachnamen ausstatten.
Keinem Leser ist geholfen, wenn ihr einen Helden namens Hubert Holomka-Kaschnitz erfindet, dessen Name den Leser alle fünf Minuten aus dem Lesefluss haut. Bei Nebencharakteren, die nur ein oder zwei mal im Buch auftreten, spielt dies allerdings keine allzu große Rolle und kann nebenbei einen lustigen Effekt erzielen.
Fragt zur Not Freunde oder Bekannte, wie euer Wunschname klingt und was sie davon halten. Jan Christian Baumann klingt zwar genauso authentisch, wie Friedrich Torsten Bunckenstock, doch lässt sich ersterer nicht nur besser lesen, sondern hört sich ebenfalls besser an.
Zudem gibt es Vor- und Nachnamen, die passen einfach nicht zusammen. Kein Mensch, der bei klarem Verstand ist, nennt sein Kind Axel, wenn er Schweiß mit Nachnamen heißt.
Namen und Fantasy
Der Fantasybereich bildet eine ganz eigene Sparte. Hier sollte man vorab so tief wie nur möglich in seine eigene Welt abtauchen und sich für die jeweiligen Völker anhand ihrer Lebensweise und deren Sprache die passenden Namen ausdenken. Eine Todeselfe mit pechschwarzer Haut, die Verderben über das Land bringt, sollte nicht unbedingt Lilu oder Rosalie heißen. Arkas oder Anam würde eventuell besser passen. Ich habe vor einiger Zeit eine Kurzgeschichte über ein Wesen geschrieben, das sich von süßem menschlichem Seelensaft ernährt. Für das Wesen hatte ich den Namen Anamsugal gewählt, was von mir aus den nordischen Worten Anam (Seele) und Sugal (Zucker/Süße) zusammengesetzt wurde. Aber das ist reine Geschmackssache und da ich in der Regel kein Fantasy schreibe, nur am Rande erwähnt.
Recherche, Recherche
Bezüglich der authentischen Namenswahl kann ich jedem nur raten, sich mit dem Thema vorab ausführlich zu beschäftigen. Hilfreich bei der Namenswahl sind Bücher für werdende Eltern, die es in jeder Buchhandlung zu kaufen gibt oder kostenfrei das klassische Telefonbuch, das jedes Jahr von der Post verteilt wird. Dies bietet zudem den Vorteil, dass dort ebenfalls Nachnamen der Region zu finden sind. Weitere Informationen findet man auf dutzenden Seiten im Internet. Einfach mal nach Namen und Geburtsjahr googeln und die Listen durchstöbern.
Abschließend sei gesagt: Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. So kann jemand mit einem bayerischen Namen genauso in Berlin aufgewachsen oder eine Mandy die Tochter eines Staatsanwaltes sein. Letztendlich muss jeder für sich selbst entscheiden, was am besten zu seiner Geschichte passt. Aber bitte: Nutzt eure eigene Kreativität und lehnt die Namen nicht zu sehr an bereits bekannte Personen an. Eine Geschichte über einen Zauberkünstler namens Larry, der in Hogwartius zur Schule geht und dessen Mitstreiter John und Harmine heißen, strotzt nur so vor Einfallslosigkeit.
Hilfreiche Links
Auf dieser Seite von Wikipedia gibt es eine Liste von fast 10000 Namen. Dort sind ebenfalls einige ausländische Namen vertreten. Liste von Vornamen
Auf der Seite von gen Wiki gib es eine Liste mit den 3000 häufigsten Familiennamen Deutschlands.
Die häufigsten Familiennamen in Deutschland