Sophies Welt

Gotteslästerung

In unmittelbarere Nähe meines Heimatortes verläuft eine von Deutschlands viel befahrenen Bundesstraßen. Beidseitig gesäumt von Moor und Feldern, bildet sie die Hauptverbindung zwischen den Industriegebieten und der Autobahn. Besagte Straße weist zwei schnurgerade Teilstücke auf, die aufgrund der anhaltenden Flut an Lastkraftwagen und landwirtschaftlichen Maschinen, zum Überholen einladen.

Ich erinnere mich noch gut an eine Situation aus meiner Jugend. Auf dem Weg in eine der typischen Neunzigerjahre Großraumdiskotheken, fuhren wir eben diese Straße entlang. So geschah es, dass wir von einem Wagen überholt wurden, dessen Fahrer seine Vorliebe für Fahrzeuge in Breitreifen, Tieferlegung und bösem Blick zelebrierte. Die Fenster auf Anschlag heruntergekurbelt, dröhnende Bässe, die durch die Nacht hallten und vier Halbstarke, die offensichtlich identisches Ziel hatten wie wir, ließen uns den Gummigeruch ihrer Hinterreifen schmecken. Zwei Kilometer weiter folgte die Ernüchterung. Weniger für uns, als vielmehr für die jungen Freunde der Tuningszene, deren Wagen an einem Baum klebte, während die vier Insassen kopfschüttelnd ihren Fehler begutachteten.

Lang ist es her, doch wie eh und je lädt die Straße auch heute noch zu riskanten Überholmanövern ein.

Neulich war ich wieder einmal auf ihr unterwegs. Nach einer Kurve, der sich eines der geraden Teilstücke anschloß, kam mir ein LKW entgegen. Ein, wie ich fand, nicht für ein riskantes Überholmanöver geeignetes Fahrzeug, scherte kurzerhand hinter ihm aus und setzte zum Überholen an. Offensichtlich hatte der Fahrer des Kleinwagens die Distanz zwischen Ende und Anfang des Lastkraftwagens unterschätzt und sichtlich Mühe damit, den Vorgang rechtzeitig zu beenden. Da der Fahrer keine Anstalten machte, seine riskante Aktion zu unterbrechen, verringerte ich sicherheitshalber meine Geschwindigkeit und wartete ab. Kaum fünfzig Meter vor mir, schaffte es das kleine Gefährt, endlich einzuscheren.

Ganz wie es meine gute Erziehung von mir verlangt, zog ich reflexartig meine Hand nach oben und zeigte dem Fahrer aufgrund seiner aggressiven Fahrweise meinen Mittelfinger. So, wie ich es immer tue, wenn rücksichtslose Rowdies die Gefahren im Straßenverkehr unnötig erhöhen. Am Steuer des Wagens, (und der Herrgott möge mir dafür verzeihen) sowie auf dessen Beifahrersitz und ebenso auf der Rückbank, saßen drei Nonnen, die mir fröhlich grinsend zuwinkten und sich wortlos für mein Entgegenkommen bedankten.

In dem Moment, als mir bewusst wurde, dass ich soeben in indirekterweise dem lieben Gott den Stinkefinger gezeigt hatte, bereute ich meine schändliche Tat.

 

© November/2018 Sophie Brandt

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