Talent kann man nicht erlernen…
Ein Gastbeitrag von Karin Lassen
Talent kann man nicht erlernen. Aber die Methode schon.
Sagte Patricia Duncker, (*1951), Bestsellerautorin (u.a. „Die Germanistin“) und Hochschuldozentin für Literaturwissenschaften und creative writing in Wales und Manchester anlässlich des ersten Internationalen Kongresses für Literarisches Schreiben im Rahmen der Leipziger Buchmesse (2015). Recht hat sie.
Während das kreative Schreiben im englischsprachigen Raum, insbesondere in den USA, eine lange Tradition hat und der pragmatische Umgang mit den Techniken und Methoden des Schreibens dort seit jeher große Akzeptanz erfährt, vertreten erstaunlich viele (angehende) Autoren hierzulande die Auffassung, dass zum Schreiben ausschließlich Talent und Phantasie gehören. Kompetenzen, die nicht durch Ratgeber zu vermitteln seien. Ein Trugschluss und eine bedauernswerte Selbstbeschränkung auf dem Weg zur Entfaltung seines vollen Potenzials. Denn “zum Tun gehört Talent, zum Wohltun Vermögen”, wie Johann Wolfgang von Goethe bereits vor 200 Jahren schon anmerkte.
Können, Sachkenntnis und handwerkliche Kniffe sind unverzichtbare Begleiter von Talent, Intuition und Phantasie. Eignen wir uns dieses Wissen an und nutzen wir es, wenn die Ideen zur nächsten Geschichte sprudeln.
Beispiel: Lebendige Figuren
Egal, ob Sie einen Krimi, einen Thriller, eine Liebesgeschichte, einen Science Fiction-Roman, ein Drehbuch oder ein Theaterstück schreiben möchten. Ohne lebendige Figuren, mit denen Ihr Leser mitfühlt, -leidet, -lacht, bleibt die spannendste Geschichte flach und plätschert nur müde dahin. Doch wie erweckt man seine Protagonisten und Antagonisten zum Leben? Was macht sie außergewöhnlich, wenn sie die Szene beherrschen oder etwas blasser, wenn sie nur eine bescheidene Nebenrolle spielen? Um wunderbar abgerundete Figuren zu schaffen, die bei Bedarf sprühen und glänzen oder still in den Schatten treten und im Verborgenen die ihnen zugewiesene Rolle spielen, sollte man sie gut kennen und in ihrer Dreidimensionalität, nämlich physiologisch, psychologisch und soziologisch, beschreiben und zum Leben erwecken.
Doch Vorsicht beim Sprühen und Glänzen – im Roman darf die Figur zwar gerne etwas überzeichnet sein, in einer Biographie hingegen bleibt man näher an der Realität.
Bewegt und bewegend
Klingt einleuchtend, mache ich sowieso? Geht aber vielleicht sogar noch besser! Ein Blick in das eine oder andere „Handbuch“ sorgt möglicherweise für überraschende Erkenntnisse und Aha-Erlebnisse. So widmet sich beispielsweise Sol Stein in seinem Klassiker Über das Schreiben sehr ausführlich der Charakterisierung von Figuren. Er greift dabei auch die Unterschiede und verbindenden Elemente von Theater, Film und Literatur auf. Zahlreiche Beispiele veranschaulichen die Theorie und lassen uns die Kraft der beschriebenen Figuren spüren.
Auch Roy Peter Clark geht in Die 50 Werkzeuge für gutes Schreiben: Handbuch für Autoren, Journalisten, Texter ausführlich und anschaulich auf dieses Thema ein. Er erläutert unter anderem, wie man mit vagen Beschreibungen manchmal mehr erreicht als mit einer Häufung gutgemeinter Adjektive und wie es gelingt, dass Eigenschaften, Gefühle oder Hoffnungen einer Figur vor dem inneren Auge des Lesers plötzlich sichtbar werden. Ein kleiner Workshop am Ende seines Kapitels bietet Anregungen zum Üben und Ausprobieren.
Lebendig, aber nicht vorhersehbar
Geschafft, die Figur lebt. Sie liebt, leidet, streitet, lacht, ist scheu oder von überwältigender Präsenz, wird bewundert oder verachtet, fasziniert und lässt uns ihre Empfindungen spüren. Damit sie nun aber nicht von einem Klischee ins nächste fällt, uns vom ersten Augenblick an ihre Entwicklung bereits erahnen lässt, zeigt uns James N. Frey in Wie man einen verdammt guten Roman schreibt, unliebsame Stereotypen und deren Vermeidung auf. Wir alle kennen diese Schubladen: der wortkarge Cowboy und sein Gegenspieler, der gutaussehende und sprachgewandte Herzensbrecher (nach den üblichen Irrungen und Wirrungen wird die Herzensdame natürlich mit dem Cowboy den Sonnenuntergang genießen). Oder die alleinerziehende Mutter, die sich zwischen Kind und unbefriedigendem Job aufreibt, schließlich den Inhaber des Unternehmens mit einer in Windeseile erstellten Präsentation vor der Pleite rettet und zur Belohnung eine leitende Position mit entsprechendem Gehalt samt liebevoller Kinderbetreuung oder gleich den Chef als Ehemann bekommt.
Nichts gegen den Cowboy oder die erfolgreiche Mutter – nur vorhersehbar sollte die Entwicklung nicht sein! Um mit derlei Stereotypen zu brechen, erklärt uns Frey unter anderem den Umgang mit widersprüchlichen Eigenschaften, die unsere Figuren beeinflussen ohne dabei ihre Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Tolle Beispiele aus der amerikanischen Krimi-Literatur inklusive.
Bewegend bis zum Schluss
Während des Schreibens begleiten uns unsere Figuren permanent. Sie beschäftigen uns von früh bis spät, überraschen uns gelegentlich mit witzigen Einfällen oder ungeplanten Begegnungen. Und der Leser? Er soll ihnen folgen, sie nie loslassen, mit ihnen fühlen. Spannung muss her! Und hierfür braucht es Konflikte, Dilemmata, gelungene Dialoge und den einen oder anderen Kniff, der den Leser den Atem anhalten und das nächste Kapitel kaum erwarten lässt.
… Methode, Technik, Handwerk – die Umsetzung erfolgt dank unseres Talents. Lassen Sie sich inspirieren!
