Mikrofiktion

Ozean

Als sie die Küste erreichten, erhob sich die Sonne aus dem Wasser. Ein kühler Luftzug streichelte ihre Haut und ließ sie die Hitze der Tage einen Atemzug lang vergessen. Der Strand war menschenleer.

›Eine ganze Küste für uns Zwei‹, dachte er und strich seiner Tochter sanft über den Kopf. Gerne hätte er Sandburgen mit ihr gebaut, so wie er es getan hatte, wäre mit ihr den Strand entlanggelaufen, so wie er es getan hatte, hätte Muscheln mit ihr gesammelt, so wie er es getan hatte.

Traurige Kinderaugen blickten ihn an, stellten Fragen, doch seine Antwort blieb aus. Der glutrote Feuerball am Horizont glich einer Fackel, die in einen See aus Erdöl getaucht wurde. Tiefschwarze Wellen verschluckten jegliche Spiegelung des Lichtes.

Die Hitze kehrte zurück. Ganz sanft, als kaum merkliches Kribbeln auf der Haut. Bis zum Mittag würde sie eine unerträgliche Intensität erreichen. Kaum auszuhalten, ohne entsprechende Vorkehrungen. Ein Duft von Schwefel lag in der Luft. Nicht unangenehm, kein Unterschied zu anderen Tagen.

Die Menschen hatten es kommen sehen, doch alle Zeichen ignoriert, hatten Versprechen gegeben, doch keines gehalten, hatten die Erde der Kinder wegen schützen wollen, doch sie ausgebeutet. Jetzt war es zu spät. Pflanzen, Tiere, Menschen, alles war tot. Die wenigen, die überlebt hatten, stellten sich Tag für Tag einem neuen Kampf. Das Einzige, was ihm noch blieb, war seine kleine Tochter.

»Du hast versprochen, der Ozean wäre blau Papa! Du hast es versprochen!«

»Damals war er das mein Kind, damals war er das!«

 

© Oktober/2018 Sophie Brandt

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