Sophies Welt

Glück für 20 Cent

»Das Glück liegt auf der Straße!«, sagt der Volksmund.

»Das Glück hängt an der Wand!«, sage ich.

Bei meinem heutigen Bummel durch den Nachbarort begegnete mir ein Relikt aus alten Zeiten. Roter, von der Sonne vergilbter Lack, drei Einwurfschlitze für Kleingeld und ebensoviele Auswurfschächte.

›Lohnt sich so was überhaupt noch?‹, fragte ich mich und schaute genauer hin. Scheinbar ja, denn alle durchsichtigen Behälter waren gut gefüllt. Unbändig mehrte sich in mir das Verlangen, einen der schwarzen Kunststoffgriffe zu drehen. Nur welchen?

»Nimm mich, nimm mich!«, rief jeder der Einwurfschlitze in der Hoffnung, ich würde ihn mit meinem zwischen Daumen und Zeigefinger befindlichen Geldstück füttern.
Ich konnte mich kaum entscheiden. Sollte es der Schacht für Kaugummi und Spielzeug, der für Süßigkeiten und Freundschaftsringe oder der für Scherzartikel und Rauchbomben sein? Meine Entscheidung fiel auf das Fach mit den Ringen, wobei mir bewusst war, dass die Chance auf einen echt coolen Freundschaftsring für meine beste Freundin, bei vermutlich unter fünf Prozent lag.
Ich steckte das Geld in den Schlitz und drehte. Das Innenleben bewegte sich. Es rasselte und klapperte gefolgt von einem Klacken. Und schon rutschte der Wunsch meiner Begierde die kleine Rutsche hinab Richtung Freiheit.

Vorsichtig öffnete ich die metallene Klappe und hielt eine etwa zwei Zentimeter große Plastikkugel in meinen Händen. Darin befindlich, ein Karamellbonbon. Hübsch nach den neuesten Hygienerichtlinien in Folie eingeschweißt. Wo kämen wir auch hin, wenn ein Kaugummiautomatenbetreiber es wagte, die Kaugummis lose in einem dieser unsterilen Geräte unterzubringen?

Ich lutschte das Bonbon nicht sofort, sondern steckte es in meine Tasche und bewahrte es mir für später. Böse war ich dem Automaten nicht, dass mir der heiß ersehnte ›eine Ring‹ verwehrt blieb. Enttäuscht ebenso wenig, obwohl ich meine 20 Cent für einen einzigen Karamellbonbon geopfert hatte. Das Gefühl, nach schätzungsweise 25 Jahren mein Glück an einem Kaugummiautomaten zu versuchen, blieb unbezahlbar.

Leider ist die Ära dieser Geräte, die zu meiner Kinderzeit an jeder Straßenecke hingen, längst vorbei. Aber wer weiß. Vielleicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis die retrosüchtigen Hipster der Neuzeit diese Tradition wieder aufleben lassen. Es kommt ja bekanntlich alles irgendwann wieder.

 

© Oktober/2018 Sophie Brandt

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